Zwei Fragmente…
Juni 2003… Irgendwo am Rande Polens- unweit der ukrainischen Grenze.
Stahlstadt heißt das Nest übersetzt, und so sieht es auch aus. Eben hatte ich nen polnischen Manager am Telefon… „Czesc! Co swychac…?“(Tagchen! Wie gehts…?) Er reagiert verstört. Irgendwie kam er wohl nicht ganz mit meiner lockeren Art und Coolness klar. Das Gespräch wird auf englisch weitergeführt. Später sagte er mir, er dachte da wäre ein Pole am Telefon gewesen, der ihn verarschen will, aber er findet es wahnsinnig toll, dass ich als Deutscher polnisch lerne. Ich bin Monate unterwegs. Messestandbetreuung Katowice, Vilnius, Budapest, Brno, Poznan…und danach erkunde ich mein „Revier“…wieder Poznan, Wrozlaw, Opole, Katowice, Krakau, Stalowa Wola. Ein Hotel nach dem anderen. Meine Reisekosten und die Handyrechnung sind astronomisch. Ich bin zu dem geworden, was ich immer sein wollte: Ein Exportmanager, der nach seinen eigenen Spielregeln handelt. Ich bin 27, ein Jahr von der Uni weg und großkotzig wie noch nie in meinem Leben, und das Krasse ist, es funktioniert. Meine fünf Brocken polnisch und meine Visitenkarte öffnen mir jede Tür. Heute steh ich vor einem gigantischen Werk, eine Stadt in der Stadt, wohl eine der größten Firmen Polens überhaupt. Vor dem Eingang muß ich meinen Pass abliefern, weil hier unter anderem auch Panzer fabriziert werden. Aber die interessieren mich wenig… Vor nicht all zu langer Zeit hätte ich mir in die Hose gemacht, aber heute bin ich ruhig und eiskalt. Ich mache Smalltalk im besten Englisch. Wir laufen durch das Werk, neben mir kracht ein 10-Tonnen-Schmiedehammer unbarmherzig auf ein kleines unschuldiges Stück Stahl. Es ist höllisch laut, aber beeindruckend. Ich habe eine Dolmetscherin bei mir, eine wunderhübsche blonde Polin. Ich brauche sie eigentlich gar nicht, ich komme alleine bestens klar, aber als Begleitung ist sie einfach umwerfend.
Ich fühle mich einfach nur prächtig. Ich habe meine Lebensphilosophie auf eine meiner Visitenkarten geschrieben, wenn ich nicht mehr weiter weiß, hol ich das Ding aus der Jacke und lese es mir durch… Da steht interpretiert: „Sei ehrlich, auch wenn es weh tut!“ „Sei pervers offen und versteck dich nicht hinter unnützer Diplomatie!“ „Vertraue in die Aussagen eines jeden Menschen!“ (Wenn jemand lügt, hat er das Problem, nicht ich! Ich reibe ihm seine Lüge solange unter die Nase, bis er umfällt…) „Sei kompetent in Allem was du tust!“ Damit ecke ich natürlich überall an, aber ist mir wurscht! Ich komme so zu meinem Ziel…
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Litauen, 17.11. 2003, Tagebuchauszug…
Ich spüre eine negative Entwicklung in mir. Ich habe den Eindruck von mir, dass ich bereits abgeschlossen habe. (Mit meinem Leben) Mein Inneres hat sich von der Außenwelt vollständig abgekapselt. Die Fassade funktioniert wieder etwas besser, aber in mir herrscht Totenstille, Schmerz, Qual, Leere… Es geht bergab. Ich finde keine Begründung. Ich kann einfach nicht mehr. Ich bin dabei das Sprechen zu verlernen. Es ist Winter. Mir ist kalt. Ich kann mich selbst nicht mehr ertragen. Alles was ich jetzt denke, fühle, tue, hasse ich. Unfähigkeit, Schwäche…Selbstmitleid, Egozentrik…lasst mich doch alle in Ruhe gehen!!! Ich habe meinen Glauben verloren. Ich habe meinen Willen verloren. Alles was ich bisher als mein „ICH“ definierte, wurde im Sturm hinweggefegt. Ich bin nicht mehr fähig zu leben. Hört endlich auf, mich aus Mitleid zu belügen! Bitte!!!
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